Politische Kaffefahrt nach Brüssel – ein Reisebericht
PolitikerInnen wollen Druck – bevorzugt vom Volk. Ziviler Ungehorsam ist willkommen und wenn das Volk demonstriert, ist das ein Grund zu Freude. Wir sollen sagen, was wir wollen und unsere Stimme nicht nur zu den Wahlen erheben. Dass diese Botschaft weite Verbreitung findet, war dem Europaabgeordneten der SPD für die Region Regensburg, Ismail Ertug, besonders wichtig.
Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben ein jährliches Budget zur Verfügung um bei sogenannten Bildungsfahrten BürgerInnen ihres Wahlkreises nach Brüssel einzuladen. Dabei geht es um Wahlkampf, den Kampf gegen die große Bildungslücke „Europäisches Parlament“ und Bürgernähe – denn ein Europaabgeordneter ist seinem Wahlkreis fern. Von ehrenamtlichem Engagement hört man bestenfalls aus der Zeitung. Das Team von Ismail Ertrug wollte eine Gelegenheit zum persönlichen Austausch mit den Ehrenamtlichen bieten und richtete erstmalig eine Fahrt für diese Zielgruppe aus. Die Anfrage ging auch an Transition Town Regensburg und so fanden Lena Stoiber und ich uns im Reisebus nach Brüssel wieder.
Am Donnerstag, den 16.7., ging es morgens los. Abends wartete bereits der erste Programmpunkt – Abendessen mit dem Abgeordneten und reichlich genutzter Fragestunde. Am nächsten Tag fuhren wir ins Parlament. Dort stellte uns Herr Ertug seine Arbeit vor. Anschließend hatte jede Organisation 90 Sekunden Zeit sich vorzustellen und es gab die letzte Gelegenheit für Fragen, denn danach flog er zum Familienfest nach Hause. Für uns ging es weiter zu einem Vortrag über den Ministerrat, den Rat der EU und den Europäischen Rat. Den Abschluss des Tagesprogramms bildete eine Stadtführung. Am Samstag besuchten wir das Parlamentarium, ein Museum zur Europäischen Union und hatten Zeit die Stadt zu erkunden. Sonntag Früh fuhren wir zurück. Die Unterbringung erfolgte nicht sehr nachhaltig in einem Hotel der IBIS-Kette.
Der Plan, mehr über die Freiwilligenarbeit in seinem Wahlkreis zu erfahren, wurde schlecht umgesetzt. Zwar suchte Herrn Ertugs Mitarbeiterin häufig Kontakt zu den Gruppen, doch in Bezug auf des Abgeordneten verlief der Informationsfluss einseitig. Wünschenswert wäre eine Gruppenarbeit zu einer aktuellen Fragestellung des Europäischen Parlaments gewesen. Der übliche Bildungsfahrt-Teilnehmer sieht sich vielleicht eher als Unterhaltungskonsument, der für die 105€ Kostenbeitrag etwas erwartet. Diese Gruppe bestand jedoch aus Ehrenamtlichen, die bekanntlich gerne aktiv werden und Expertise mitbringen.
Die MitfahrerInnen kamen aus Deggendorf, Regensburg und Neumarkt. Die meisten waren Ende 40 und älter. Lena und ich führten viele interessante Gespräche. Wir wurden gefragt, ob wir die Werte unseres Vereins auch leben, was wir genau tun und wann man mal vorbeikommen könnte. Trotz der Aufgeschlossenheit waren Vorbehalte gegen AusländerInnen immer wieder zu hören. Fehlende kulturelle Sensibilität, aber auch Futterneid in Form von „Warum hat der hat mehr als ich?“ fielen uns auf. Der Tenor lautete, dass sich Ausländer anpassen müssten. Dass aber ein Teil der Verantwortung auch bei uns liegt, schien nicht im Bewusstsein. Wer denkt schon daran, dass unsere Art nicht mal versehentlich völlig rüpelhaft daherkommt – eine unterschätzte Quelle überflüssiger Spannungen.
In Brüssel scheint mit seinen 56% AusländerInnen eine sehr entspannte Atmosphäre zu herrschen. Das Leben findet auf der Straße statt, in zahlreichen Cafés, Bars und Restaurants und in Europas größter Fußgängerzone. Für diese wurde einfach eine der Hauptverkehrsstraßen in der Innenstadt gesperrt und mit Sitzgelegenheiten und kulturellen Angeboten bereichert – eine schöne Atmosphäre für den Austausch. Nun fehlen nur noch Bioläden, fairer Kaffee und veganes Essen. Wer macht mit bei zivilem Ungehorsam für fairen Kaffee im Parlament?
Wie nehme ich Einfluss in der EU?
In der europäischen Union gibt es drei große Organe mit verschiedenen Aufgaben: Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union.
Die Europäische Kommission besteht aus 28 VertreterInnen der Regierungen der EU-Länder und hat das alleinige Initiativrecht für europäische Gesetze.
Das Europäische Parlament besteht aus 751 VertreterInnen der europäischen Bürger und Bürgerinnen und stimmt über Gesetzesvorschläge der Kommission ab bzw. macht Veränderungsvorschläge zu den Gesetzestexten.
Der Rat der Europäischen Union (auch MinisterInnenrat) repräsentiert ebenso wie die Kommission die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und berät über bzw. nimmt Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission an und koordiniert die EU-Politik.
Somit setzt sich nur ein europäisches Organ, das Parlament, aus von den europäischen BürgerInnen gewählten VertreterInnen zusammen, die jedoch keine Gestaltungsmacht haben. Sie können nur über Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission abstimmen.
Bei unserem Besuch in Brüssel wurden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir als EU-BürgerInnen Einfluss auf europäische Politik nehmen können:
1. Den Vertreter oder die Vertreterin unserer Region im Europäischen Parlament wählen.
2. Die Europäische Kommission durchläuft einen langen Prozess, bevor sie zu neuen Gesetzesvorschlägen kommt. An erster Stelle steht die Veröffentlichung eines Grünbuches, in dem die Kommission ihrer Meinung nach relevante Themen auflistet. Dieses Grünbuch wird dann veröffentlicht um ein Meinungsbild der Bevölkerung einzuholen. In einem zweiten Schritt werden daraus dann mögliche Gesetzesänderung erarbeitet, die dann wiederum in einem Weißbuch veröffentlicht werden.
Grünbücher können auf der offiziellen Seite der Kommission eingesehen werden:
http://ec.europa.eu/green-papers/index_de.htm
Somit sollte es möglich sein, als BürgerIn Rückmeldung zu den in den Grünbüchern angeführten Themen zu geben, bevor es zu neuen Gesetzesvorschlägen kommt. Jedoch sind auf der Internetseite seit 2014 keine weiteren Grünbücher aufgeführt (?).
Kontaktmöglichkeiten zur Europäischen Kommission werden hier aufgelistet: http://ec.europa.eu/contact/index_de.htm
3. Jeder Unionsbürger und jede Unionsbürgerin hat das Recht, sich jederzeit in einer Petition an das Europäische Parlament zu wenden. Eine Petition kann als Beschwerde oder Ersuchen abgefasst sein und sich auf Angelegenheiten von öffentlichem oder privatem Interesse beziehen. Mehr dazu hier:
http://www.europarl.europa.eu/atyourservice/de/20150201PVL00037/Petitionen
4. Es bleibt immer noch der zivile Ungehorsam, um klar zu machen, welche Themen Priorität haben und (um) Druck auf unsere politischen VertreterInnen auszuüben.
Lasst uns also aktiv(er) werden!